R E Z E N S I O N E N

Unsere Auswahl von Rezensionen in der Presse bringt zuerst die zeitlich neuesten und zuletzt die ältesten Beispiele.

 

Thüringer Allgemeine vom 10.10.09

Lokales Erfurt

Ostdeutscher Spitzenvierer - Herbstlese: Jazz-Lyrik-Prosa - ein Name der viel

verspricht...

Herbstlese: Jazz-Lyrik-Prosa - ein Name der viel verspricht und der im HsD alles gehalten hat Natürlich, keine Frage, Jazz-Lyrik-Prosa zieht immer noch und immer wieder. Ausverkauft hieß es zur Herbstlese/Jazzmeile unter dem Titel Love & Blues am Mittwoch im proppe vollen Gewerkschaftshaus.

Von Michael KELLER

ERFURT.

Der Name der Veranstaltung an sich hat Gewicht, und das seit Jahrzehnten. Der der Mitwirkenden nicht minder. Uli Gumpert am Piano, Konrad Conny Bauer an der Posaune, zwei Leuchttürme des ostdeutschen Jazz, zu denen es keiner größeren Erörterung bedarf. Auch Schauspielerin Walfriede Schmitt, die Verse und Prosa von Goethe, Storm, Tucholsky, Ringelnatz und Heine, Hölderlin und Kästner ganz nach Gusto schmachtend, wütend, frech, frivol, erotisierend, hingebungsvoll, nachdenklich oder bebend rezitierte, hat seit langem ebenso ihre Fangemeinde. Aber da war noch Ruth Hohmann. Manch einer kannte ihren Namen, nicht die Künstlerin selber. Was kann eine 78-jährige Jazzerin noch bieten, dass es legitim ist, sie in eine Veranstaltung mit so großem Namen einzubinden ?, dachte sich wohl so mancher. Nach über zwei Stunden war es dann klar und des Staunens kein Ende. Die 299. Jazz-Lyrik-Prosa- Veranstaltung der Neuzeit, so die Ansage, wurde von dieser Grand Old Dame zu großen Teilen geprägt. Stimmlich jung, dynamisch, energiegeladen und in jedem Ton überzeugend - die gebürtige Eisenacherin, die einst am Erfurter Konservatorium Schauspiel studiert hatte, zog alle Register ihres stimmlichen Könnens und bot ein mitreißendes Repertoire. Solch einen Scatgesang, solch einen Blues würde manch junge Kollegin gern so darbieten, wie diese vitale Frau. Einfach wunderbar, wenn sie I can't give you anything but Love singt oder dem Black Coffee stimmlich die belebende Hitze verpasst. Ergo: Ruth Hohmann allein ist das Eintrittsgeld schon wert.

Dann wäre man aber nicht in den Genuss des phantastischen Posaunespiels von Konrad Bauer gekommen. Seine unglaubliche, weil hochkomplizierte Spieltechnik, dazu diese bis zu sechsfachen, elektronisch erzeugten Überlagerungen der zuvor eingespielten Phrasierungen des inzwischen auch schon 66-Jährigen, sie suchen ihres gleichen und sie gehören zum Besten, was der zeitgenössische Jazz überhaupt zu bieten hat. Bliebe noch Uli Gumpert. Zu diesem Meister am Piano noch irgendetwas neu zu erfinden, wäre reine Zeitverschwendung. Gumpert ist eine Institution, ein Genius der schwarzen und weißen Tasten. Er bot sowohl für Ruth Hohmann als auch für Konrad Bauer und Walfriede Schmidt das sichere Fundament, auf dem sich deren Kunst grenzenlos entfalten konnte. Fazit:   Ein zweifelsohne und überhaupt in jeder Hinsicht grandioser Abend.

  (c) Zeitungsgruppe Thüringen Verwaltungsgesellschaft mbH

 

 

JIDDISCHES

Von Walter Kaufmann

Das große Plus an dem Abend „Dass ich nicht vergess‘, Ihnen zu erzählen“ im Kabarett Sündikat am Alex waren Walfriede Schmitt und Karsten Troyke. So wie die Schmitt den Ausflug des kleinen Wiener Juden zur Kultur schildert, der sich schließlich in die Aufführung von Wagners „Lohengrin“ verirrt: „Sehr laut, sehr geräuschvoll – und obendrein noch diese Stopfgans“, versetzte die Zuschauer in Entzücken. Als Karsten Troyke den jiddischen Tango „Alles Farloiren“ darbot, brachte ihm das Bravo-Rufe und stürmischen Beifall.

Die gute Stimmung hielt den Abend hindurch zur Freude des Spiritus Rector Josh Sellhorn an. Vom Trio Scho sang Gennadi Desjatnik zur Violine, dass es ein Vergnügen war. Valery Khoryshman und Michael Jach begleiteten ihn auf Akkordeon und Kontrabass. Und immer wieder brachte Jürgen Kupke mit seiner Klarinette Jazziges ein. Darum halten wir uns an den Titel des „Jazz-Lyrik-Prosa“-­Abends „Dass ich nicht vergess ...“

„Neues Deutschland“, 22. Februar 2008

 

FREUDE AN JAZZ, LYRIK UND PROSA

Von Walter Kaufmann

Wie ein Magnet. Schon seit vielen Jahren ist »Jazz-Lyrik-Prosa« ein Erfolg und füllte gerade wieder die Komische Oper in der BehrenstraBe in Mitte bis auf den letzten Platz. Das lässt dem rührigen Spiritus Rector Werner Josh Sellhorn das Herz höher schlagen. Denn wieder einmal wird hier bewiesen, was zu DDR-Zeiten die Leute auf die Beine brachte, zieht noch immer.

Warum? Das ist so, weil das Berliner Jazz Collegium einfach gut ist und weil es die Sängerin Ruth Hohmann dabei hat. Diese Künstlerin ist und bleibt phänomenal. Bei der Art, wie sie Freight Train Blues hinlegt, würden ihr die Südstaaten-Tramper von Alabama bis Mississippi mit blankem Erstaunen lauschen. Woher hat diese Deutsche das, fragt man sich.

Und was die Schauspielerin Walfriede Schmitt angeht, die ich wegen ihrer jüdischen Geschichten schätze, die kann auch singen und zudem noch mit großer Präsenz einen Text Hölderlins so vortragen, dass die Leute in sich gehen.

Doch dann wieder gehen sie aus sich heraus und lachen, dass es widerhallt, wenn Edgar Külow, der sich älter macht als er ist, »Die Mongolen kommen« darbietet — was, wie man hört, ihm zu DDR-Zeiten versagt war. Und alle applaudieren fröhlich, nachdem Ursula Staack vom Deutschen Theater und Ursula Werner vom Maxim-Gorki-Theater Kabinettstücke über die Rampe gebracht haben wie »Knupperkirschen mit Vanilleeis« und »Ucki, Ucki, Schnork Schnork«.

So etwas wie »Jazz, Lyrik, Prosa« will erlebt sein. Folglich war wieder — wie gern berichtet — die Komische Oper für dieses Programm prompt ausverkauft.

„Neues Deutschland", 18. Januar 2008

 

 

VOLKSLIEDER VERUNSTALTEN

Frech dichten und frei spielen: Die Kultveranstaltung „Jazz Lyrik Prosa" gastiert Sonntag beim Jazzfest Köpenick

Eine mit Platten und Büchern vollgestopfte Wohnhöhle in Prenzlauer Berg. Louis Armstrong an der Wand und im Aschenbecher qualmt die Zigarette. Klarer Fall: Hier lebt ein Urgestein. Und ein weiteres ist zu Besuch und sitzt klug spaßend auf dem Ledersofa. Gastgeber Josh Sellhorn, 77, ist Musikwissenschaftler, Erfinder und Moderator der Kultveranstaltungsreihe ,,Jazz Lyrik Prosa". Er und sein alter Freund, Saxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky, 73, werden als ,,Urgesteine der DDR-Jazzszene" tituliert. Solche abgenudelten Worthülsen klingen nach ausgebrannten Altkünstlern und nicht nach dem Träger des wichtigsten deutschen Jazzpreises wie Petrowsky oder einem, der nach 30 Jahren Pause eine Konzertreihe erfolgreich reanimiert wie Sellhorn. Schon nach den ersten Plauderminuten ist gewiss, dass unter diesen grauen Köpfen heiße Herzen brennen.

Das hat auch Satiriker Wiglaf Droste, 46, schnell gemerkt, der Sonntag mit Schauspieler Edgar Külow bei ,,Jazz Lyrik Prosa" im Rathaushof Köpenick für bissige Wortbeiträge zuständig ist. Seit über acht Jahren ist er der Quoten-Wessi unter den Ostkünstlern. Wie das kam? ,,Ich wurde eingeladen, mal mit im Tränenpalast aufzutreten, und traf da nur musikalische Granaten." Ernst-Ludwig Petrowsky sei ein Seelenverwandter. ,,Ich mag seinen widerständigen Humor, die Hingabe und Musikalität." Bis Droste auftrat, war’s ein eher ostalgischer Abend, erinnert sich Petrowsky. ,,Aber dann schoss der eine Breitseite nach der anderen gegen Ostrockmusik ab, und ich musste ihm Personenschutz anbieten", grinst der gebürtige Mecklenburger.

Ist ,,Jazz Lyrik Prosa" eine Ostalgie-Veranstaltung? Nein, sagt Josh Seilhorn, zum jährlichen Auftritt in die Komische Oper kämen genauso viele Westler wie Ostler. Allerdings klappe es mit Engagements in den alten Bundesländern nicht. ,,Da kennen sie Schauspieler wie Ursula Karrusseit oder Annekathrin Bürger nicht", vermutet Sellhorn. Für Zuhörer im Osten sei es dagegen ein Stück Erinnerung. ,,Aber ohne ostalgisch zu sein", meint auch Wiglaf Droste. Die seien ,,zwischen 18 und 80, aufmerksam und neugierig". Nicht wie dieses ,,in Aspik eingelegte Publikum" westdeutscher Kabarettisten.

Begonnen hat ,,Jazz Lyrik Prosa" Mitte der Sechziger, als Sellhorn – damals Lektor im Verlag Volk und Welt – sich mit Manfred Krug und den ,,Jazz-Optimisten" zusammentat, um Rezitationsabende zu veranstalten. ,,Die waren frech und lustig und hatten einen aufmuckenden, subversiven Touch", erinnert sich der wacker mit der Zensur ringende Sellhorn. Eberhard Esche, Wolf Biermann und viele andere sorgten für rauschende Erfolge – bis der Ärger mit der Obrigkeit 1967 zu groß wurde. Dann war bis zur Wiederauferstehung vor zehn Jahren Funkstille.

Manfred Krug habe ihm mal geraten, erzählt Josh Sellhorn, wenn er als Ansager lange bestehen wolle, solle er nur so viel sagen wie unbedingt nötig. ,,Und so mache ich‘s auch. Ich sage die Nummern an, aber bin selber keine." ,,Bist du doch!", protestiert Freund Ernst-Ludwig Petrowsky prompt. Er spielt Sonntagabend erstmals mit der legendären Jazzformation Zentralquartett bei ,,Jazz Lyrik Prosa". Dazu gehören der Schlagzeuger Günter ,,Baby" Sommer, Posaunist Conny Bauer und Pianist Ulrich Gumpert. Welchen Stil? ,,Volkstümlichen Freejazz ohne elitäre Attitüde", sagt Petrowsky und lächelt ironisch, ,,Volkslieder verunstalten und so." Wiglaf Droste, der sich unter anderem Ost-West-Phänomenen widmen wird, ist sehr gespannt auf das erstmals komplett bei ,,Jazz Lyrik Prosa" versammelte Zentralquartett. ,,Das sind großartige Musiker", sagt er. "Und ich find‘s schön, dass Baby Sommer mal mit einem richtigen Schriftsteller auftritt, statt immer nur mit Günter Grass." 

                                                                                GUNDA BARTELS

[„Der Tagesspiegel", 4. August 2007]

 

 

SELBSTGEBRANNTER TREIBT DEM PUBLIKUM TRÄNEN IN DIE AUGEN

Ursula Karusseit und Günter Junghans haben in Schneeberg mit russisch-sowjetischen Satiren und Gedichten die Lacher auf ihrer Seite

Von SARA THIEL

Schneeberg. Der Russe als solcher – selbst wenn er zwischenzeitlich zum Sowjetbürger gemacht wurde – ist in einem erstaunlichen Maße leidensfähig. Diese Tatsache haben gut 100 Gäste der „Goldnen Sonne" Schneeberg am Freitagabend allerdings mitnichten mit Bewunderung oder Mitleid honoriert. Im Gegenteil: Der Russe als solcher wurde ausgelacht. Mit wackelnden Bäuchen und tränenfeuchten Augen saß das Publikum im Saal – nicht gerade die feine deutsche Art.

Also mal ehrlich, Genossen, das macht man doch nicht. Da bemühen sich die Vortragenden Ursula Karusseit und Günter Junghans, den verehrten Anwesenden einen Einblick in das Leben in Russland Anfang des 20. Jahrhunderts zu geben – und die kichern vor sich hin. Kriegen sich gar nicht mehr ein, als von einer Versammlung berichtet wird, die sich mit einem nun wirklich ernsten Thema beschäftigt: den Gefahren des Selbstgebrannten. Das ist doch nun wahrhaftig nicht zum Lachen. Zumal schon der Referent seine Sache nicht allzu ernst zu nehmen scheint. Zwar ist dem guten Mann durchaus bewusst, dass man vom Selbstgebrannten Kopfweh bekommt und blind werden kann. Statt aber den Genossinnen und Genossen vom Genuss desselben abzuraten, erklärt er ihnen in aller Seelenruhe, wie man solches Gesöff filtert: mit Salz, Alaun, Moosbeeren und Kreide. Ruckzuck ist aus der ungeliebten Versammlung eine hochinteressante Veranstaltung geworden. Nur der Kulturhausleiter rauft sich erst mal die Haare.

Mit Satiren und Gedichten russisch-sowjetischer Autoren hatten die beiden Schauspieler die Lacher auf ihrer Seite. Den Musikern der ukrainischen Gruppe ,,Scho" gelang es dagegen, ein Lächeln auf die Gesichter der Zuhörer zu zaubern. Mit Akkordeon, Geige, Kontrabass und viel Charme bewiesen sie, dass die russische Seele nicht nur viel Tiefe besitzt, sondern auch Leichtigkeit und Witz. Das war so recht ein Abend, um die Woche ausklingen zu lassen.

Dass ausgerechnet ein gewisses Maß an Schadenfreude dazu beigetragen hat, lag ohne Zweifel im Kalkül der Rezitatoren. Immerhin hatten sie Erzählungen ausgesucht, die alltägliche Situationen gnadenlos auf die Spitze treiben, bis man nur noch japsen konnte. Nicht umsonst erzählten sie in ihren Geschichten von einem Mann, der bis tief in die Nacht hinein in einem schaffnerlosen 0-Bus damit beschäftigt ist, das Geld sämtlicher Insassen hin und her zu wechseln, nur weil er nichts passendes Kleines für seine Fahrkarte hatte. Und auch die Erzählung über einen Herrn, der Tag für Tag vom Amt vertröstet wird, weil die Beamten seinen Antrag verschusselt hatten, war nicht ohne Grund gewählt. Erst, als der Ärmste versehentlich einen anderen verzweifelt Wartenden geohrfeigt hat, wurde sein Antrag gesucht, gefunden und bearbeitet. Allerdings musste der letztlich doch ganz fix Bediente wegen seines Ausrasters einen Monat ins Kittchen. Wie man sieht — alles Satire und im wahren Leben überhaupt undenkbar. Nicht wahr?

[Zeitungsartikel über "Schlaf schneller, Genosse!", März 2007]

 

 

 

JAZZ - LYRIK - PROSA 

 

Kultiges Baukastenprinzip aus Musik, Literatur und Mensch bleibt zeitloser Markenartikel. Ein altes und neues Leben lang.

 

[Artikel in "Melodie & Rhythmus", Juli-Heft 2007; Marion Rohland interviewt Josh Sellhorn bei der Veranstaltung des Sonserprogramms "Schlaf schneller, Genosse!" am 27. Januar 2007 in Staßfurt]

 

Josh Sellhorn schiebt zwei Stühle an den Tisch in der kleinen Künstlergarderobe im Staßfurter Salzlandtheater. Lehnt sich zurück, beginnt das Gespräch selbst mit einer Frage: "Na, was willst du wissen?" - "Alles!" Die 'Geschäftsidee' hinter der musikalisch-literarischen Veranstaltungsreihe "Jazz -  Lyrik - Prosa" ist so einfach wie genial und war den heute üblichen Promotionskampagnen der Labels und Verlage schon 1964 voraus. Der Buchverlag Volk und Welt suchte nach einer Werbekampagne für seine Produkte. Josh Sellhorn, damaliger Werbeleiter des Verlages, fand sie nicht in Plakaten, Anzeigen, geschweige denn Internetpräsenzen, sondern in einer anspruchsvollen Mischung aus Musik, Literatur und Mensch. Alles vereint in der Verlagswerbeveranstaltung "Jazz und Lyrik". Die imk eigenen Haus verlegte Lyrik wurde - verpackt mit Musik - unters Volk getragen. Die Strategie ging auf. Allein 1964/65 tourte "Jazz und Lyrik" mit fast 100 Veranstaltungen durch die kleine DDR. Sie mauserte sich mit dem Dixieland-Swing der Berliner Jazz-Optimisten und dem von Josh Sellhorn entdeckten jungen Manfred Krug zu einer anspruchsvollen, meist satirisch unterhaltsamen Kleinkunstreihe mit Kultstatus. Aus dem Duo Lyrik und Jazz wurde Ende '65 das Trio "Lyrik - Jazz -  Prosa". Denn zur Lyrik gesellten sich zunehmend Prosatexte, zu Manfred Krug so namhafte Gastsolisten wie die Jazzsängerin Ruth Hohmann, die Schauspielerinnen und Schauspieler Eberhard Esche, Gerry Wolff, Angelika Domröse, Annekathrin Bürger, Edwin Marian, der Kabarettist Gerd E. Schäfer und der Liedermacher Wolf Biermann. Die Mitwirkung von Wolf Biermann blieb für die Reihe nicht komplikationslos. Während einer Veranstaltung 1965 wurde Biermann verhaftet. Die Künstlerkollegen streikten - erfolgreich. In einem gut sortierten DDR-Haushalt mit gehobenem Anspruch an Musik und Satire durfte sie nicht fehlen: die 1965 bei Amiga erschienene LP "Jazz und Lyrik" - als Mitschnitt eines Programms in Berlin Mitte. So begann der Siegeszug jener legendären - von Michail Sostschenko geschriebenen und von Manfred Krug in Szene gesetzten - "Die Kuh im Propeller", gefolgt von einer zweiten LP "Lyrik - Jazz - Prosa" im Jahr 1968, die für die damaligen Kulturfunktionäre nur unter 'Kompromissen' zur Veröffentlichung freigegeben wurde. 1967 endete die vorläufige Erfolgsstory. Sie ging in eine 30-jährige Pause, um 1997 im Steintorvarietee Halle vor gerade mal 42 Zuschauern einen neuen Anlauf zu nehmen. Inzwischen ist die Reihe unter dem Titel "Jazz - Lyrik - Prosa" mit 13 Programmen wieder erfolgreich unterwegs, nun ohne Verlagshaus im Rücken und meist im östlichen Osten, Norden und Süden dieser bunten Republik. Sie gastiert vor einem alten und neuen Publikum, sorgt immer wieder für ein volles Haus beim jährlichen Januar-Termin in der Komischen Oper Berlin., hat Buchungen für die 243. Veranstaltung und einen Tourenplan bis 2008. "Jazz - Lyrik - Prosa" ist nicht EIN Programm. Der Reiz liegt sozusagen im "musikalisch-literarischen Baukasten" - bestehend aus vielen thematisch ganz unterschiedlichen Programmen und Künstlern. Die Liste der Schauspieler und Musiker liest sich wie das Who is Who der alten (ostdeutschen) Schauspiel- und Jazz-Szene und setzt allein damit ein Zeichen für anspruchsvolle Unterhaltung. Die 'Marke' "Jazz - Lyrk - Prosa" scheint eine eigene Zeitlosigkeit zu entwickeln - was die interpretierten Texte und die Künstler betrifft. Da stehen junge Musiker wie das Trio Scho neben so erfahrenen Musikern wie Uschi Brüning, dem Jazz Collegium Berlin, Ernst-Ludwig Petrowsky, Uli Gumpert, Ruth Hohmann, Conny Bauer und charismatischen Schauspielerinnen und Schauspielern Walfriede Schmitt, Ursula Karusseit, Günter Junghans, Barbara Schnitzler oder Daniel Minetti. Und wenn Günter Junghans die Odyssee eines Bürgers durch die so unfassbar wirkliche Lethargie eines Amtes beschreibt, wird dem Zuhörer nicht bewussr, aus welchem Jahrzehnt unseres Jahrhunderts die Geschichte stammt. Da bleibt nur die traurig-seufzende Feststellung der meisten Zuhörer: Genau so is' es! Sich erkennen, das Leben erkennen. Es mit den Worten und Melodien früherer und zeitgenössischer Künstler unters Volk tragen - und dies mit einem Lächeln zu tun, ja, das ist wohl das Geheimnis der zeitlosen Beliebtheit der Reihe "Jazz - Lyrik - Prosa". Wie sonst ließen sich die inzwischen über 1000,000 Mal verkauften CDs der 1995 bei Amiga/BMG erschienenen Neuauflage der Berliner Mitschnitte von 1964/65 erklären? Ihr folgten 1999 und 2004 die bei Buschfunk erschienenen Produktionen "Jazz - Lyrik - Prosa II" und "Jazz - Lyrik - Prosa III". Josh Sellhorn schaut auf die Uhr. In wenigen Minuten wird er zum 227. Mal "Jazz - Lyrik - Prosa" ansagen. Nach dem, was da noch kommen soll, befragt, gibt er eine klare Antwort. Ein Buch soll entstehen - mit Fotos und Geschichten aus der alten und neuen Zeit. Im Hauptteil schwarz-weiße Fotografien und Biographien der Mitwirkenden. "Das Buch soll gut, aber erschwinglich sein. Das ist unser Plan."

 

 

 

SATIRE, JAZZ UND RADSCHLAG

"Jazz-Lyrik-Prosa" begeisterte auch beim 222. Mal

Von Walter Kaufmann

in: „Neues Deutschland“, 5./6. Januar 2007 

Man sollte sich den alljährlichen Januar-Termin in der Komischen Oper vormerken — allein schon aus Solidarität. Und natürlich wegen des Vergnügens, das man haben wird. Ruth Hohmann, diese Ruth seventy live mit dem Jazz Collegi­um Berlin, war am Donnerstag quer durch diesen nun schon 222. Abend von »Jazz—Lyrik—Prosa« von rauschendem Beifall begleitet und legte einen Abschiedsblues hin, der auch die Schwarzen von New Orleans’ Basin Street von den Stühlen gerissen hätte.

Und spätestens, als Peter Bause sich als lebenslänglicher Angestell­ter heim „Theater Deutschland“ zu erkennen gab (Intendantin Angela Merkel), hatte er die Lacher auf seiner Seite — da brauchte es nur noch Texte wie die von Hans J. Stein und Willi Bredel, um das Pu­blikum rundum zu gewinnen.

Wer schlug am Ende aus lauter Übermut ein Rad auf der Bühne —und warum? Wiglaf Droste war es, Autor, Sänger, Tausendsassa der Medien, den es gepackt hatte, weil er auch mit seiner Satire auf die Brandenburger blendend ange­kommen war. Auch Lutz Stück­rath, Borstenhaarschnitt und flin­ke Zunge, sowie Madeleine Lierck, kesse Berliner Gore wie elegante Lady, gaben zum Jubel ihrer Fans dem Affen Zucker. Und allesamt, dazu die sechs genialen Musiker des Jazz Collegiums, wurden stolz-vergnüglich von Josh Sellhorn moderiert, der auch das Pro­gramm gestaltet hatte — und sich darauf verlassen darf, dass im Januar 2008 bei »Jazz-Lyrik-Prosa« die Komische Oper wieder ausverkauft sein wird.

 

 

TAKE THE NORDIC WALK ON THE WILD SIDE

Begeisterung für "Jazz - Lyrik - Prosa"

Mit Wiglaf Droste, Edgar Külow, Gert Leiser und Angelika Weiz Trio

Von Sylvia Obst

in: "Txakt" 12/2006 - das kulturfreizeitmagazin für thüringen

 

Im September war Wiglaf Droste im Thüringer Wald wandern, in der Nähe von Tabarz. "Und wenn Sie den Film 'Das kalte Herz' gesehen haben, dann wissen Sie, wie es dort aussieht ..." Als er dann in die Nähe vom Rennsteig kommt, da trifft er sie, es werden immer mehr. "Skier hatten sie keine unten dran - es lag ja auch kein Schnee." So Droste und seine Story "Take the Nordic Walk on the Wild Side", erzählt von himself im ausverkauften HsD-Gewerkschaftshaus bei "Jazz - Lyrik - Prosa". Ein Highlight der Herbstlese 2006.

"Jazz - Lyrik - Prosa" heißt die reanimierte Veranstaltungsreihe, welche Werner "Josh" Sellhorn zusammen mit Sänger und Schauspieler Manfred Krug und den "Jazz-Optimisten" in den 60er-Jahren als Werbung für den Verlag "Volk und Welt" aus der Taufe gehoben hatte. 1997 erlebte dieses legendäre Konzept mit anderer Besetzung eine Neuauflage und erfreut seitdem überall mit satirischen Texten und populären Spielarten des Jazz ein begeistertes Publikum. Überall, nur in Erfurt nicht.

Das ist jetzt Geschichte. Man versprach im Herbstlese-Programm einen unterhaltsamen Abend, verbunden mit bekannten Namen: Wiglaf Droste, Kabarettist Ernst Röhl und für den Jazz das Angelika Weiz Trio mit Sängerin plus Wolfgang Fiedler & Volker Schlott. Der geplante Clou: die Moderation vom Erfinder dieser Veranstaltungsidee, dem Urgestein der DDR-Jazzszene: Werner "Josh" Sellhorn. Doch es kommt anders. Nicht nur Werner Sellhorn fällt wegen Krankheit aus, auch Ernst Röhl. Die gute Seite daran: Die Thüringer lernen endlich mal den urkomischen Ruhrpott-Autor Edgar Külow kennen, der jüngst (mit 80 Lenzen!) den Deutschen Kleinkunstpreis erhielt und mit seiner gediegen-ruhigen Art und nur mit dem Wort das Publikum sofort erobert. Der Thüringer Gert Leiser (er stammt aus Wandersleben!) moderiert amüsant, einfühlsam und wissend. Es wird ein wundervoller Abend, eine gelungene Zwischen-Krönung der Herbstlese 2006. Denn der Höhepunkt ist - natürlich! - Wiglaf Droste, und dabei meint er (als Wessi) eingangs: "Ich weiß gar nicht so recht, warum ich hier mitmachen darf. Aber ich weiß, es ist eine Ehre", und verweist auf den einzigen Verdienst, den er hat: er ist Ost-Westphale. Zieht erst mal wunderherrlich über die "Jugendliebe" von Ute Freudenberg her und bietet "Ute Elephant und die volle Dose Elend".

Er weiß nicht, wie es ist, mit "Jugendliebe" aufgewachsen zu sein, sonder nur, wie es ist, ihr mit 43 zu7 begegnen ... Er streift Menschen im Zug, der dann irgendwo in Bernau hält und er sich so fragt, was will der Mensch in Bernau? Natürlich wird Weihnachten schon mal mit abgehakt an diesem ersten Novemberabend und legt Droste mehrmals nach, u. a. mit "Flaschendrehen im Vatikan" und der Erinnerung an den 13. November, als Wolf Biermann (der übrigens am 15. 11. 70 wurde, die Red.) in die BRD eingewiesen wurde. "Ich darf das so sagen: Wir hatten ihn dann am Hacken!" 

KABARETTGESCHICHTE IM QUERSCHNITT

Oldtimer "Jazz - Lyriki - Prosa" in der Herkuleskeule

Von W. Zimmermann

in: "Dresdner Neueste Nachrichten", 5. Oktober 2006

"Was braucht‘s Persönlichkeiten in der Politik, wenn uns Personen heut genügen", stellte der Kabarettist Lutz Stückrath in seiner Version des Goetheschen "Zauberlehrling" fest. Sein Resumee verleitete weniger zum Schenkelklopfen, sondern zauberte vielmehr Stirnrunzeln auf die Gesichter der Keulenbesucher am Montagabend. "Jazz, Lyrik, Prosa" - die verdienstvolle Mixtur aus Jazz, Kabarett, Chanson und Schauspiel - war wieder mal in Dresden vor Anker gegangen. Als feste Größe in der gepflegten Unterhaltungskunst nun seit 1972 auf Tour. Erstmalig erschien das Logo, als Manfred Krug, Eberhard Esche und Co Ende der 60er Jahre fortschrittlich-freche Texte zum Klang des Jazz vortrugen. An diesem Grundkonzept hat sich bis heute nichts geändert. Von Anbeginn dabei das "Jazz Collegium Berlin" und mit ihm Posaunist Hartmut Behrsing als eines der damaligen Gründungsmitglieder.

Dass der Mix aus Jazz, Lyrik und Prosa in kleinen Veranstaltungsraumen funktioniert, dieser Beweis wurde in der Herkuleskeule geführt Mit einem Stück von Duke Ellington startete man, Nummern wie "Oh, When The Saints ...", der "Basin Street Blues" folgten. Madeleine Lierck und Lutz Stückrath als die Wortakteure des Abends griffen bereitwillig Gedanken der Musik auf. So erinnerten sie an das Jazz-Verbot während der Nazidiktatur, geißelten die Ohnmacht der Macht, weil "... im Jazz kann man nun mal keine feindliche Ideologie erkennen".

Lierck und Stückrath — beide sind im Kabarett zu Hause - präsentierten auch witzig-originelle Chansons, Lieder und Spielszenen aus anderen Epochen des Kabaretts. Erwiesen Komponisten und Textern wie Friedrich Hollaender ("Raus mit die Männer aus‘m Reichstag"), Kurt Tucholsky ("Es gibt Karrieren, die gehen durch den Hintern") oder Karl Valentin ("Wo ist meine Brille?") ihre Reverenz, streiften die "Golden Twenties" der gar nicht so goldenen Weimarer Republik und fanden Schwachstellen der jüngeren Kabarettgeschichte: "Ab 1990 spielten die Dresdner in München und die Münchner in Dresden - heute spielen Münchner Kabaretts wieder in München." In der jüngeren Geschichte angekommen, las Stückrath schließlich aus seiner Autobiografie, die er "Gute Seiten, schlechte Seiten" genannt hat.

Der "Brückentag" hatte sein Übriges getan, die Keule war bis auf den letzten Platz gefüllt, das Publikum bester Laune. Bessere Bedingungen für einen unterhaltsamen Abend konnte es nicht geben.

 

 

 

RUSSISCHE SEELE EROBERTE SOFORT GEFÜHL

Leserbrief, abgedruckt am 18./19. Februar 2006 in der "Schweriner Volkszeitung"

 

Als nach dem Krieg das Fach Russisch in unseren Schulen Einzug hielt, begeisterte mich eine im Baltikum ausgebildete und Pfeife rauchende Opernsängerin für diese Sprache. Jahrzehnte hat diese Sprache meinen Berufsweg begleitet. Bei Urlaubsaufenthalten in diesem riesigen Land war ich zufrieden, vieles zu lesen und manches verstehen zu können. Genau diesen Nerv traf das Gastspiel [von "Jazz - Lyrik - Prosa" am 28. Januar 2006] im Güstrower Theater. Schon beim ersten russischen Gesang eroberte die russische Seele mein Gefühl. Die drei Musiker der Gruppe "Scho" (zwei Ukrainer und ein Deutscher) hatten mit ihrer leicht swingenden russischen Musik das Publikum sofort in Besitz genommen. Ursula Karusseit und Günter Junghans "bearbeiteten" mit russisch-sowjetischen Satiren unser Zwechfell. Zwei Stunden Unterhaltung bester Qualität - Dank für diesen schönen Abend.

Ob allerdings der Herr Stroganoff aus Imsk über Omsk oder Umsk oder doch über Ems kam, wurde nicht aufgeklärt, aber wir singen hier ja auch "Ob er über Oberammergau oder aber über Unterammergau - oder ob er überhaupt nicht kommt, ist nicht gewiss."

 

Helga Kressin, Güstrow

 

 

VERGNÜGLICHE MISCHUNG VON WORT UND MUSIK

Theatergeschichten und Jazz mit Mimen und Quartett

 

Gotha. (tlz/wifi) Im Theater geht es mitunter derb und drastisch zu. Peter Bause zitiert ein Beispiel von seinem Schauspieler-Kollegen Fred Düren, der einmal neben einem "scheißenden Hund" auf der Bühne gestanden haben soll. "Das ist im Deutschen Theater nicht zu überbieten. Für Schauspieler ist es bitter, dem Hund war es egal ..."

Die etwa 150 Zuschauer im Kulturhaus lachten Tränen über den Vortrag und fühlten sich bestätigt: Die Reihe "Jazz - Lyrik - Prosa" bietet auch nach fast vier Jahrzehnten Neues und eine gelungene Mischung vergnüglicher Texte und spritzigem Jazz. Der einstige Renner hat nach wie vor seinen Reiz, auch wenn die Rezitatoren längst nicht mehr Eberhard Esche und Manfred Krug heißen, die die Reihe auf "Amiga" einst populär machten.

Bause und Dieter Wien übernahmen im Theatergeschichten-Sonderprogramm den literarischen Part. Mit Werner "Josh" Sellhorn steht der Moderator von einst nach wie vor mit Fachkompetenz bereit und leitet vom Wort zur Musik und umgekehrt über. Im Kulturhaus bestritt das Schönfeld-Quartett den jazzigen Programmteil und hatte in Friedhelm Schönfeld einen der deutschen Altmeister auf Saxophon und Flöte in seiner Mitte. Seine Tochter Axinia hat das Jazz-Talent des Vaters geerbt. Sie demonstrierte das eindrücklich beim Scat-Gesang wie in lyrischen Passagen. Jörg Straßburger (Piano), Gerhard Kubach (Kontrabass) und Stephan Genze (Schlagzeug) nehmen swingend  jedes Motiv auf und improvisieren schlagfertig weiter. Zusammen boten sie einen vergnüglich-heiteren Jazz-Lyrik-Abend.

 

 

 

THEATERLEBEN EINMAL ANDERS

Die humorvollen „Theatergeschichten“ unterhielten ein treues Publikum

Von M. Winter

in: "Warnow Kurier", 3. April 2005


Es war wieder einmal soweit: Bereits zum 5. Mal gastierte „Jazz Lyrik Prosa“ am Sonntag, 3. April, im Rostocker Hotel Sonne. Diesmal mit dem Sonderprogramm „Theatergeschichten“. Der „Vater“ von „Jazz Lyrik Prosa“ Josh Sellhorn moderierte den Abend höchstpersönlich. Mit Walfriede Schmitt, Dieter Wien und Friedhelm Schönfeld waren einstige Größen des DDR- Entertainment geladen. Dass eben diese recht betagten Künstler noch lange nicht zum alten Eisen gehören, haben sie vor einem „gebildeten Publikum“ mit viel Spaß und routinierter Perfektion bewiesen. Schließlich stehen sie fast ihr ganzes Leben auf den bekannten Brettern, die … na, ist ja hinlänglich bekannt, was sie bedeuten. Doch heutzutage leider nicht mehr so selbstverständ- lich.
Walfriede Schmitt und Dieter Wien ließen mit gekonnter
humoristischer Mimik, Gestik und Sprachakrobatik beim Publikum kein Auge trocken. Als „Zwei alte Schauspieler beim Abschminken“ konnten sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis stellen. Dazu hatten sie im Laufe des
abwechslungsreichen Abends noch einige Gelegenheiten. Zwischenzeitlich saßen sie lächelnd Arm in Arm auf der Bühne, und man bekam das Gefühl, dort agiere eine gutgelaunte Theaterfamilie.
Abgerundet wurde das Programm durch die musikalischen Darbietungen des Friedhelm Schönfeld Trios. Die angenehm familiäre Atmosphäre auf der Bühne wurde noch intensiver, da die Tochter des begnadeten Saxophonisten Friedhelm Schönfeld mit von der Partie war. Axinia Schönfeld ist in Musikerkreisen längst keine unbekannte Sängerin mehr. An der Seite ihres Vaters und dem ausgezeichneten Pianisten Jörg Straßburger gab sie denn auch einige deutsch- und englischsprachige Lieder zum Besten. „Die Oliven gedeihn“ wurde als Eröffnungslied gesungen und als
es dann auch am Ende des zauberhaften Abends zu hören war, brannte es sich sanft in die Gehörgänge ein – bis ganz tief hinein. Es setzte sich dort als willkommener Ohrwurm fest.
Bleibt noch zu erklären, warum es sich um ein „gebildetes Publikum“ handelte. Als Dieter Wien von einem Erlebnis als Schauspieler erzählte, damals wurde der Film „Timur und sein Trupp“ gedreht, stand nur ganz kurz die Frage im Raum: „Von wem stammt eigentlich die Erzählung?“ Sofort kam aus dem
Zuschauerraum: „Arkadi Gaidar!“ Dieter Wien sichtlich erfreut: „Ah, wir haben es mit einem gebildeten Publikum zu tun!“ So bot auch dieser Abend Stoff für eine kleine Anekdote. Viele weitere Anekdoten aus der bunten Welt des Theaters wurden schließlich noch von Walfriede Schmitt und Dieter Wien erzählt.

 


Gastspiel

KREISLER NUR WENIG BITTERSÜSS

Die bekannte Reihe „Jazz-Lyrik-Prosa" ist im Anhaltischen Theater zu erleben

Von Thomas Altmann

Dessau/MZ/21.4.04

Unversöhnlich liest sich ein Resümee von Georg Kreisler: „Wenn man einen Liedermacher braucht, nimmt man jemand anderen, wenn man einen Kabarettisten braucht, nimmt man jemand anderen, wenn man einen Theatermenschen oder einen Komponisten braucht, nimmt man erst recht jemand anderen, sogar wenn man einen Juden braucht, nimmt man jemand anderen, meistens einen Halbjuden, der wäre vielleicht versöhnlicher als ich." Josh Sellhorn nimmt ihn dennoch, den Satiriker Kreisler, der im Schatten des genüsslich Tauben vergiftenden Interpreten Kreisler steht.

„Jazz-Lyrik-Prosa" heißt die reanimierte Veranstaltungsreihe, welche Josh Sellhorn zusammen mit Sänger und Schauspieler Manfred Krug und den „Jazz-Optimisten" in den 60er Jahren als Werbung für den Verlag „Volk und Welt" aus der Taufe gehoben hatte. Am Sonntag waren Uschi Brüning, die Combo „Enfant" sowie Barbara Schnitzler und Daniel Minetti zu Gast im Anhaltischen Theater.

„Worte ohne Lieder – Satiren von Georg Kreisler" war die 142. Aufführung der Reihe überschrieben. Sie begann mit einen Lied ohne Worte, „Well You Needn’t" von Thelonious Monk. Um die Vaterfigur Ernst-Ludwig Petrowsky (Altsaxophon) gruppierten sich Detlef Bielke (Klavier), Martin Lillich (Bass) und Ernst Bier (Drums). Ihr Spiel ist brillant, ohne überpoliert zu sein und lässt Raum für Improvisationen, die nicht vordergründig auf Originalität drängen.

Petrowskys Instrument kann erzählen, ist verhalten erdig und virtuos, wechselt die Klangfarben oder nimmt sich lyrisch zurück. Schimpfen kann sein Saxophon auch. Zwei Eigenkompositionen mit unbändiger Lust am Fabulieren berauschen sich am textlosen Singen. Der Scat-Gesang der Brüning ist klarer als manches Wort. Auch wenn ihr im Gospel „Strange Things Happen Every Day" der ganz große Resonanzboden fehlt, begeistern die leisen Töne, die zärtlich sind ohne triefende Sentimentalität. „My Funny Valentine" hört man immer wieder gern von ihr. Eva Strittmatters „September" bietet Spätsommer-Melancholie, aber ungeschminkt.

Sellhorn moderiert gewohnt kryptisch, also klassisch karg. Die Schauspieler Schnitzler und Minetti haben es bei dem Gastspiel in Dessau nicht eben leicht. Denn den geliebten bittersüßen Humor bieten diese Kreisler-Texte nur am Ende oder beiläufig. Die Lehrerworte, „Liebe Schüler", beschreiten Umwege, die es ermöglichen, die Großen der Geschichte zu preisen und dennoch Gehorsam als erste Bürgerpflicht einzufordern. Da muss man lange warten auf den Knall: „Heil Hitler!" Schnitzler und Minetti können warten.

In Kreislers theologischem Traumdisput „Das kleine grüne Männchen" ist Gott weniger mildtätig als im Menschenhirn. Der kleine grüne Gott behauptet, dass der Mensch noch immer im Paradies lebe. Das führt schließlich auf die Couch des Seelenarztes und kostet 100 Euro. Die Zugabe: „You Are So Beautiful".

 

 

BÜHNE DRESDEN 

So ist das, Genossen: Jazz-Lyrik-Prosa - diesmal in der Dresdner Komödie.

 

Karl Knietzsch

("Dresdner Neueste Nachrichten", 28. April 2003)

 

Der die titelgebende Sprachmixtur gleich zu Beginn anwendet, ist Genosse Gennadi. Als Dank für den Auftakt-Applaus nach dem Auftakt-Titel. Genosse Gennadi ist der "Frontmann" der Band. Die Band bilden drei Mann. So ist die Band eigentlich gar keine richtige Band, sondern, Genossen? Richtig, ein Trio. So ist das, Genossen. Und außer dem Genossen Musiker Gennadi Dessiatnik mit der Geige ist da noch der Genosse Valeri Khoryshman mit dem Akkordeon und der berlinisch-deutsche Towarisch Andreas Krumwiede am großen Bass dabei. Und zusammen, Genossen, heißen sie "Scho?". Das ist schön kurz, stammt wie Gennadi und Valery aus der Ukraine und heißt soviel wie na ja, was im Berlinischen etwa "wat" heißt. So ist das, Genossen.

Und zusammen machen die Drei eine fantastisch swingende, russische Kaffeehausmusik, mit Witz und Charme und Ironie und "russischer Seele". Was sie tun, haben sie schon oft getan: auf dem Karneval der Kulturen, auf Berliner Bären, im Radio, im Fernsehen. Im Sommer des vergangenen Jahres haben die Drei den Musik-Wettbewerb des Berliner Senats gewonnen. Und bei der 115. Veranstaltung von "Jazz-Lyrik-Prosa" sind sie genau richtig. Goldrichtig. Hat doch das Programm den kämpferischen Titel "Schlaf schneller, Genosse". Das ist kein Schräger-Reformkurs-Slogan. Das ist Satire aus vergangenen russischen Zeiten. Aus sehr vergangenen Zeiten. Und kommt uns hier in unseren Breiten noch gar nicht so fremd vor, gar nicht so weit weg. So ist das, Genossen.

Die Sache mit dem Jazz, der Lyrik und der Prosa hat ihre Tradition. Einst war sie ein Renner, live und auf LP, mit Esche und Krug ("Kuh im Propeller") und anderen. An diesem Komödien-Abend nun der Genosse Moderator (Josh Sellhorn) und vor allem zwei Genossen Schauspieler mit Rang und wohlvertrauten Namen: Ursula Karusseit und Günter Junghans. Und die haben sich mit faunischem Vergnügen Gedichte und Geschichten aus ehernen Kampfzeiten hergemacht, als das "Flugwesen sich entwickelte", aus den 20er und 30er Jahren, aber nicht nur, mit spürbarer Fresslust am schauspielerisch-rezitatorischen Kraftfutter. Schon Michail Sostschenkos Humor der Titelgeschichte vom Hotelgast, den das Plakat im Zimmer auffordert "Schlaf schneller, Genosse", ist böser Humor über Alltagszustände, bissiger als sämtliche Hotelwanzen.

Skurriles, Parabeln (Michalkows "Füchsin und Biber"), Katajew ist dabei und Majakowski, zwerchfellerschütternde, stilistisch einzigartige Satire. Die Autoren haben ihren Sowjetalltag unter die Lupe genommen, und da sagt alles über alles aus, Bürokratie, Alkoholsucht und anderes, allzu Typisches. Vieles so fern und vieles so unschön zeitlos.

Die Genossen Schauspieler bereiten die literarischen Rezepte zum pfeffrigen Mahl aufs Vorzüglichste, und das "blöde Publikum" (pardon, Genossen, das ist ein Zitat von Sostschenko!) goutiert's mit Vergnügen.

Und die Musikanten setzen immer eins drauf, in Russisch, in Deutsch, und sind einfach herrlich. Spassibo very much. Ein Abend mit Wiederholungszwang. Die Wiederholung findet statt: 3. Mai, 19.30 Uhr, Komödie. Also, Genossen: schlaft schneller - an diesem Abend schläft keiner!

 

 

 

"LIEBE MACHT MAGER"

Jazz-Lyrik-Prosa in der Herkuleskeule

Karl Knietzsch

in: "Dresdener Neueste Nachrichten", 4. Juli 2002

 

Macht sie das, die Liebe: mager? Zu sprechen ist nicht von dem bewussten,, im weiblichen Regelfall neun Monate andauernden Countdown vorm "freudigen Ereignis". Ganz und gar nicht, nein. Zu sprechen ist von jenem meist undefinierbaren Schwebezustand menschlicher Seelen in der Zeit davor. Vom vibrierenden Uralt-Thema sämtlicher Poesiealben, Fall-in-Love-Schnulzen aller Genres, aller Lyrik und Prosa, aller Musik. Also auch des Jazz. "Liebe macht mager" verkündete schon Shakespeares spitzzügiger, wortdrastischer Zeitgenosse Robert Burton.

Walfriede Schmitt hat ihn mit faunischem Vergnügen gleich drei Mal am rezitatorischen Wickel: an diesem 96. Jazz-Lyrik-Prosa-Abend (n. d. W., Neuzeitrechnung nach der Wende) im restlos vollen Saal der "Herkuleskeule". Die Sache ist an sich nicht neu. Jazz-Lyrik-Prosa (oder Lyrik-Jazz-Prosa, ist doch egal) ist schon DDR-alt, ein Renner, live und auf LP, mit Esche und Krug ("Kuh im Propeller") und eben auch den anderen. Allesamt gutes, altes Bühnen-Urgestein, auch Walfriede, dazu Meister-Jazzer Conny Bauer mit der Posaune, Jazz-Röhre Ruth Hohmann, einst flapsig tituliert als "singende Hausfrau", Pianist Ulrich Gumpert. Quartett in Sachen Liebe, englischsprachiger Exporttitel "Love and Blues", Liebe quer durch den Gärten aller Blütenträume, Sehnsüchte und offenen und verkappten Seufzer und Flüche. "Liebe macht mager", so Spötter Robert Burton. "Für die Liebe noch zu mager", so ein DEFA-Film. "Was ist die Liebe gegen ein Beefsteak mit Bratkartoffeln ...", so Lilli Palmers Erkenntnisseufzer in "Julia, du bist zauberhaft". So alt und so unterschiedlich also die Sichtweisen und vergeblichen Deutungsversuche.

Die Vier des Zweistundenabends nehmen den Fall aus allen Perspektiven unter die literarisch-musikalische Lupe, benennen ihre Zeugen, Goethe (natürlich!), Storm, Brecht, Ringelnatz sind dabei, Tucholsky und Kästner und Hölderlin. Walfriede, die Schauspielerin, hat da - siehe oben - herrlichstes Futter, das bereitet sie vorzüglich, und das Publikum goutiert's mit Wonne. Conny Bauer "drieselt" das Thema freejazzig auf seine Weise auf, interpretiert, kontrapunktiert, ironisiert, malträtiert, kommentiert - fantastisch. Frappierend auch das Spiel mit dem "Loop" als Echo-Effekt. Die kleine Ruth ist noch immer von alter Jazz-Brillanz, bluesig, wie von unverbrauchter Frische. Ihren Part teilt sie sich mit dem einfühlsamen Ulrich Gumpert am Flügel. Zwei rundum vergnügliche Stunden Diagnose zur Uraltkrankheit Nummer Eins.

 

 

 

JAZZ - LYRIK - PROSA

Von Rolf Bäns

[Artikel aus Blatt in der Sächsischen Schweiz vom März 2002]

 

Am Freitag begann in Pirnas Kleinkunstbühne die 89. Folge der in den 90er Jahren gestarteten dritten Staffel des Programms "Jazz - Lyrik - Prosa", gemanagt und moderiert durch Werner "Josh" Sellhorn. Die ungeheuere Popularität der seit 30 Jahren gestalteten abwechslungsreichen Form hält unvermindert an. Die Schallplatten gehörten damals zur "Bückware", das "Q 24" war restlos ausverkauft! 

Bis heute erheitert sich das Publikum an den russisch-sowjetischen Satiren, die einen selbstkritischen und zugleich ironischen Blick auf den sozialistischen Alltag werfen. Die Version "Schlaf schneller, Genosse" findet ihre Themen in der Mangelwirtschaft sowie der bürokratischen Überhöhung gesetzlicher Vorschriften, die als gesellschaftliche Bremse wirkten. In Textbeiträgen von Wladimir Majakowski, Michail Sostschenko, Valentin Katajew und anderen wurde dies auch den Besuchern deutlich, die mit Lachsalven und spontanem Beifall nicht sparten.

Zwei Schauspieler sorgten durch ihre hohe künstlerische Qualität für den außerordentlichen Erfolg des Abends: Ursula Karusseit und Günter Junghans. Beide verstanden ihr Handwerk ausgezeichnet und bewiesen einmal mehr ihre Berechtigung im gesamtdeutschen "Schauspielerensemble". "Die Karusseit" kennen wir aus tragenden Rollen großer Filme, von der Bühne und letztendlich als "Frau Charlotte" der ARD-Serie "In aller Freundschaft", wo sie liebenswürdig, zugleich kratzbürstig agiert.

Neue Projekte stehen an, mehr wollte mir die charmante Künstlerin nicht verraten. Günter Junghans freut sich auf die Arbeit in einer Serie bei "SAT 1", die unter Vertrag ist.

Der heiter-satirische Abend lebte auch von den musikalischen Beiträgen des Trios "Scho ?" mit Tanzmusik aus den 30er und 60er Jahren russisch-sowjetischer Schlagerentwicklung. Auch sie hatten einen Riesenerfolg! Mit Abstand hört man gern "alte Schlager". Gennadi Dessiatnik, Gesang und Violine, Valery Khoryshman, Akkordeon, und Andreas Krumwiede am Kontrabass, spielten alles auswendig, musizierten exzellent! Gennadi Dessiatnik bewies sich weiterhin mit seiner Stimme als echter Komödiant und sympathischer Interpret.

 

 

GELUNGENE ALTE KAMELLEN

Altbewährtes mit "Jazz, Lyrik, Prosa" im Theaterhaus

Georg Martinger

in: "Potsdamer Neueste Nachrichten", 20. November 2001

 

Der Vergangenheit entgeht man nicht, sie holt einen doch wieder ein. Manchmal ist das peinlich, manchmal auch nicht. Im Falle der offenbar langlebigen Veranstaltungsidee "Jazz, Lyrik, Prosa" samstags als Gastspiel des Hans Otto Theaters in der Blechbüchse offeriert, war es sogar ein ausgemachtes Vergnügen, olle Kamellen in erfrischend jugendlichen Farben und natürlich nie gehörten Tönen elegant-nostalgisch zu erleben. Der Veranstalter, im letzten Jahr schon einmal in Potsdam zu Gast, setzt sozusagen auf das Altbewährte. Jazz, Lyrik, Prosa - in den sechziger Jahren unter dem Namen "Jazz und Lyrik" der Bühnenrenner-Ost - erlebte am Wochenende seine 81. Reprise, freilich in immer neuer Besetzung. Das bewährte "Macky Gäbler Quartett" bildet mit seinem eleganten, verhaltenen und äußerst gediegenem Jazz-Repertoire die ruhende Komponente der Dramaturgie, während namentlich wechselnde Schauspieler und Autoren mit bekannten Namen von Auftritt zu Auftritt wechseln. Ein elastisches Prinzip. Mit Barbara Schnitzler und Dieter Wien, dem urkomischen Ruhrpott-Autor Edgar Külow, mit dem bescheiden auftretenden Josh Sellhorn als Ansager und der Jazz-Legende Ruth Hohmann war dieser mehr als zweistündige Abend sehr prominent besetzt. Grund genug, alle Plätze des etwas verkleinerten Zuschauerraums im Hans Otto Theater beinahe auszuverkaufen. Die etwas reifere Jugend hatte sich wohl eingefunden - und wie sie genoss!

Ein bisschen folgte diese sehr gepflegte Veranstaltung dem Überzwerch-Prinzip: was gestern gut war, muss heute nicht schlecht sein, und was heute gut ist, muss nicht von gestern sein. Das schien sich vor allem das "Macky Gäbler Quartett" mit seinen vier exzellenten Musikern Manfred Dierkes (Gitarre), Christoph Niemann (Bass), Peer Triebler (Schlagzeug) und der Teamchef mit seiner brillanten Arbeit am Saxophon und Flöte auf die Fahnen geschrieben zu haben. Sie spielten altbewährte Titel aus den USA, aber mit einem solchen Gespür für die Kultur der Ruhe, dass einem dieser Stil höchst europäisch vorkam. Von Miles Davis' schönem "All Blues" bis zum unverwüstlichen Bobby-Troup-Renner "Route 66" fehlte keinem Titel die sehr persönliche Note, wohl aber alles Laute und Wilde. Die jahrzehntelange Bühnen- und Jazzerfahrung der wunderbaren Stimm-Akrobatin Ruth Hohmann tat ein übriges, Titeln wie "Sweet Georgia Brown" (von der Interpretin eingedeutscht) oder "There Will Never Be Another You" (Harry Warren) zu einem Erlebnis zu machen. Toll. Vielleicht übertraf die Eigenkomposition "Commander McMingus" von Rainer Gäbler das tradierte Gut aus Übersee sogar an Empfindung, wer weiß.

Die Zunft des Wortes besorgte mit recht buntgefügten Texten aus Vergangenheit und Gegenwart den literarischen Teil. Er reichte von talmudischer Schnurrigkleit (Barbara Schnitzler) über Michail Sostschenko (Dieter Wien) bis zu Selbstgemachtem aus der Feder Edgar Külows, dem Buch "Koslowski im Bundestag" entstammend.

Wer sonst könnte auf die wundersame Idee kommen, seinen "Neuen Hund" der weder schön noch besonders klug ist, ausgerechnet Scharping zu nennen. Auch der "Hausaufsatz", eine höchst witzige Großeltern-Schnurre, fand beim Publikum die allerhöchste Gunst. Der Autor als sein bester Interpret, das hat Seltenheitswert: "Scharping, gib Pfötchen!"

Altbewährt das ewig junge Thema streitender Eheleute, wie es Barbara Schnitzler mit leichter Distanz in der hübschen Geschichte vom "Friedlichen Hahnrei" vortrug, auch Peter Hacks' Gedicht vom "Pflaumenhuhn" war nicht ganz ohne, gleichwohl sich Interpretin und der Ruhrpott-Autor auf der Bühne etwas neckten. Sollen sie.

Vom "St. Louis Blues" (William Handy) bis "Bag's Groove" (Milt Jackson) zum Abschluss, von der altfranzösischen Liebesgeschichte bis zur jüngsten Schnurre aus Wattenscheid im kleinkarierten Parteienkampf - alles stimmte in dieser wohltemperierten Mischung aus Text und Musik an diesem wunderbar gepflegten Abend, nur wurde der Zugaben-Teil im Eilmarsch bewältigt. Irgend jemand hatte es wohl sehr eilig.

"Jazz, Lyrik, Prosa" ist gewiss ein Hut von Gestern, abgegriffen, altbewährt, man trägt ihn gerne. Von dieser Vergangenheit, die sich in neuer Jugend bewährt, lässt man sich gerne einholen. Kultur, wie man sie zum Verlieben gern hat, still und sanft, humorvoll und klug, fast losgelöst von Erdenschwere. Wie schön, dass es so etwas gibt.

 

 

NUR EIN BISSCHEN VON GESTERN

Die "Jazz-Lyrik-Prosa"-Reihe feierte in HOT ihren Fünfzigsten

 

Carolin Loren

in: "Potsdamer Neueste Nachrichten", 13. November 2000

 

In den Anzeigen für die Reihe "Jazz - Lyrik - Prosa" steht es an erster Stelle und auch der Moderator Werner "Josh" Sellhorn betont es bei der Begrüßung im Theaterhaus: Es handle sich um eine "Kultserie" aus den sechziger Jahren. Nun ist es ja immer ein wenig problematisch, wenn man es nicht mit dem Erinnern genug sein lässt, sondern das gute alte Gestern wieder zu beleben sucht. Da liegt immer irgendwie Staub in der Luft. Inzwischen tourt die Reihe seit drei Jahren mit unterschiedlichen Programmen durch ostdeutsche Städte, gastiert neben Potsdam auch in Gotha im Kulturhaus oder in der "Wabe" am Prenzlauer Berg. Zur fünfzigsten Veranstaltung am Freitagabend waren die Gäste recht zahlreich erschienen, die meisten wohl auch so um die Fünfzig, doch es waren auch einige Jüngere zu sehen.

Am Eingang gab es kostenlos die neueste Nummer der kleinformatigen Zeitschrift, die zu DDR-Zeiten eine kulturinteressierte und vielerlei Genüssen aufgeschlossene Lesegemeinde einte, deren Angehörige per Zufall oder Erbschaft zu einem Abonnement gekommen waren. Das kleine "Magazin" hat sich im großen Blätterwald bisher behauptet und ist heute in jedem Zeitschriftenregal zu finden, könnte aber wieder zu einer Sammler-Rarität werden, weil es nun doch wieder einmal um seine Leser bangt. Und so wirbt die Veranstaltungsreihe für das Heft und das Heft für die Veranstaltungsreihe, damit die eine Legende durch die andere ein bisschen besser auf den Beinen bleibt.

Jazzig wird der Abend mit dem Ulrich Gumpert Trio eröffnet. Das Dreiergespann an Piano (der Namensgeber selbst), Kontrabass (Jan Roder) und Schlagzeug (Wolfgang "Zicke" Schneider) ist in guter Form, und der Jazz ist nicht so free, dass nicht schon bald mitgewippt würde im Publikum, bei Duke Ellington, Cole Porter, Roland Kirk oder Gumpert-Kompositionen wie "Smell A Rat Again", der Titel, der in eine "Tatort"-Verfilmung einging.

Mit der Textauswahl waren die Veranstalter - auch das gilt als bewährt - vornehmlich bei der Satire geblieben, u. a. mit Kishon und Geschichten aus Stefan Heyms "Immer sind die Weiber weg". Mit Spitze und Schärfe hält diese Art von Satire zurück, und der große Themenkreis von "Meine-Frau-Geschichten" ist durchaus von recht altbackenem Witz. Die prominenten Lese-Gäste Ursula Karusseit und Annekathrin Bürger waren dem Publikum sichtlich vertraut und beliebt. Mit einigem Engagement verliehen sie den mit oder über ihre "Gattinnen" blubbernden und brubbelnden und überdies von einigen körperlichen Alterserscheinungen geplagten Figuren Stimme und vermochten dabei zahlreiche Lacher zu zünden.

Zum Gumpert-Trio gesellte sich die inzwischen in Berlin lebende US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin Leta Davis dazu. Mit Titeln wie dem "Savoy-Blues", "Black Coffee" oder Richard Rodgers mit Ella Fitzgerald, Anita O'Day oder Al Cohn / Bob Brookmeyer schön längst zum Ohrwurm avancierten "The Lady Is A Tramp" spielte Leta Davis souverän und im Laufe des Abends zunehmend genüsslich mit einer schon beinahe zeitlos zu nennenden Hit-Liste.

Mit heftigem Füßetrampeln und prasselndem Applaus kürte das Publikum an diesem Abend seinen "Liebling", den Eulenspiegel-Autor C. U. Wiesner. Sein "Frisör Kleinekorte" ist inzwischen auch schon eine "Traditionsfigur", ein Unikum, das er vor nunmehr 39 Jahren, selbst 28jährig, in die wechselvollen Zeitläufte warf. Auch wenn er altersmäßig seine Schöpfung schon überholt habe, wie Wiesner bekundete, wurde er auf der Bühne nun selbst ganz Kleinekorte, schnitt und rasierte mit Gestik, Mimik und Stimme und machte dabei seine plaudrigen, unablässig sprachspielerischen Exkurse zum kleinen Bankraub, zur leidvollen Altersdiät und zum Wohl und Wehe seine Handwerks im Frisiersalon, des Handwerks eines "desilluminierten Mittelstands-Ossis". Als Zugabe offerierte Wiesner noch eine Fontane-Ballade, in sehr freier Bearbeitung natürlich. Der Parteisekretär "John Maynard" schippert über die Spree, als sie noch in der DDR floss, und erreicht das Aal-Essen in der Kneipe "Rübezahl" nicht mehr.

So beging man in der Pause den Fünfzigsten des "Kults" aus den Sechzigern mit "Rotkäppchen", Chianti und "Schweppes", und wie in den Sechzigern war die Atmosphäre hier tatsächlich nicht mehr. Sagen wir, eher so ein bisschen wie Mitte der Achtziger.

 

 

 

ÜBERWÄLTIGENDES DEBUT

Jazz - Lyrik - Prosa im Theaterhaus wird zum Abend der Überraschung

Benno Schirrmeister

in: "Märkische Allgemeine Zeitung", 13. November 2000

 

Niemand weiß, wozu ein Literatur-Verlag im Sozialismus eine Werbeabteilung brauchte. Aber jeder weiß, dass Werner - genannt - "Josh" Sellhorn, der in den 60-ern PR-Chef bei "Volk und Welt"  war, es verstand, das kreative Potenzial seiner Aufgabe auszuschöpfen. Er entwickelte die Veranstaltungs-Reihe "Jazz und Lyrik". Dabei spielte man gepflegten Dixie, und außerdem wurden natürlich Gedichte aus dem Verlagsprogramm vorgetragen. Ein fast spartanisch einfaches Konzept - und über Jahrzehnte ein durchschlagender Publikumserfolg.

An den will will man seit Mitte der 90-er wieder anknüpfen. Klar, es gabeinige Änderungen. Beim 50. Abend, den Faktotum Sellhorn am Freitag im Theaterhaus Am Alten Markt moderierte, wippelte keine Brassband im two-beat-Rhythmus. Stattdessen gibt's Blues. Außerdem heißt das Programm nunmehr "Jazz-Lyrik-Prosa", wobei das Wort Lyrik vor allem der Tradition zuliebe beibehalten wird.

Wohl rezitiert Annekathrin Bürger Majakowskis Gedicht vom Nichtraucher, aber das war's dann auch schon an Poesie. Dafür gibt es vergnügliche bis bissige Erzähl-Miniaturen. James Thurbers "Einhorn im Garten" etwa, das Ursula Karusseit mit gebührender Malice vorliest, oder Ephraim Kishons "Früchte des Misstrauens".

Und dann trägt auch noch C. U. Wiesner Monologe seiner aus dem "Eulenspiegel" bekannten Kunstfigur "Frisör Kleinekorte" vor: Wer diesen Abend gebucht hat, der will und der erhält gepflegte Unterhaltung. Übrigens auch vom Ulrich Gumpert Trio.

Grundsolide spielt die Tastenlegende zusammen mit Bassist Klaus Koch und dem Schlagzeuger Wolfgang "Zicke" Schneider, der sein Drumset meist mit zwei Jazzbesen traktiert. Sonny Rollins ("Sonnymoon"), etwas aus dem eigenen Archiv, Roland Kirks "Black And Crazy Blues" - Klassiker. Virtuos, mit dem unverwechselbaren Anschlag und gewohnt exzellentem Gefühl, aber vorwiegend zurückhaltend.

Bis zu Leta Davis' erstem Auftritt argwöhnt man, dass diese etwas biedere Atmosphäre wohl dem Raum geschuldet ist. Für künstlerische Ekstase schien die Blechbüchse ja ohnehin nie der rechte Ort. Umso überraschender aber dann das Potsdamer Debüt der Amerikanerin. Sie singt Billie Holidays "Billie's Blues", Ellingtons "Don't Get Around Much Anymore" oder Cole Porters "Night And Day", all die alten Lieder. Aber sie singt sie, als wären sie neu, als wären sie nur für sie und für diesen einen Auftritt geschrieben. Leidenschaftlich, persönlich und mit einer Stimme, die man lieben oder hassen muss: Mal rau und wie gebrochen, mal fast unangenehm schneidend, dann wieder mit schmeichelnder Wärme, immer aber eigenwillig. Während sie singt, tanzt und spielt, schaut Gumpert stier auf die Tasten und vermeidet jeden Blickkontakt, als wäre er verlegen ob ihrer überwältigenden Vitalität.

 

 

 

SWINGING BANKETT

 

In: „junge Welt“, 10. Januar 2000

 

Ernst-Ludwig Petrowsky, wie stets behutet, startete den Abend mit flapsigen Sprechgesang über junge Welt, das „Polit-Fachblatt“, über FDJ und DDR-Kulturpolitik, um damit bei Thelonious Monk zu landen, ein Jazz-Rap, der zugunsten des tönebiegenden Amerikaners ausging. Das „ensemble enfant“ war auf tutti eingestellt, die Bankreihen des bis auf den letzten Platz gefüllten Marx-Engels-Auditoriums der Humboldt-Universität vibrierten. „Jazz-Lyrik-Prosa“ gibt es seit Mitte der 60er Jahre, seit damals auch die Aula – die hieß damals „Marx-Engels-Auditorium“.

Andere Klassiker waren die Stars des Abends. Ursula Karusseit las James Thurber und Stefan Heym, Günter Junghans Sostschenko, rezitierte Ringelnatz und Döblin, gemeinsam trugen sie eine Auswahl aus den Schreiben der junge Welt-Preisträger von 1970 vor, von denen einige hundert im Saal saßen: „An diesem Tag bin ich mal nicht müde.“ Mathias Wedel ließ bundesdeutsche Realsatire ätzen.

„Jazz-Lyrik-Prosa“ hat Legendenstatus, ihr Promoter, Josh Sellhorn, auch. Er schaffte es, die Reihe ab 1997 wieder regelmäßig auf die Bühne zu bringen. Star des Ensembles und auch des Bankettabends war Uschi Brüning – bei „Black Coffee“ und Gospel hielt es auf dem Podium keinen mehr auf den Sitzen, in den engen Gängen des Audimax spielten sich Bewegungsszenen ab. Überraschungsgast um 22.40 Uhr: Dietrich Kittner, der demnächst sein 40jähriges Bühnenjubiläum feiert, mit der Tagesneuheit: „Das Betreten von Friedhöfen wird jetzt auch verboten.“ Nach drei Stunden keine Erschöpfung im Saal und auf der Bühne, aber Schluss. Das Extrablatt der jungen Welt „Gedenken verboten“ kam und wurde verteilt.

 

 

STILVOLL, ANREGEND, GEKONNT

"Jazz - Lyrik - Prosa" bot beeindruckende Darbietungen

 

Nicht namentlich gezeichneter Artikel in einer Meininger Zeitung nach der Veranstaltung dort am 

19. September 1999)

 

Meiningen. Mit "Jazz - Lyrik - Prosa" wurde am Sonntagabend ein weiterer Farbtupfer im Programm der "8. Meininger Kleinkunsttage" gesetzt. Etwas farblos zum Gebotenen wirkte diesmal das Ambiente der Multihalle. Die aufgestellten Tische kaschierten kaum die kühle Sachlichkeit des Raumes. Doch die Jazz-Klänge, Chansons und Prosatexte weckten bei den Zuhörern wohlige Gefühle und erregten zumeist heiter den Geist. Das, was von der Bühne kam, hatte Stil und künstlerisches Niveau.

Unvergesslich wohl den meisten Besuchern im Saal die Reihe "Jazz - Lyrik - Prosa", die Werner "Josh" Sellhorn bereits 1963 ins Leben gerufen hatte. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Veröffentlichung auf zwei Schallplatten. Zu wahren Kultstücken avancierten Manfred Krugs Rezitation "Die Kuh im Propeller" und Eberhard Esches "Der Hase im Rausch". Die zwei Alben wurden auf CD vereint und 1995 neu herausgegeben. Unmittelbar bevor steht die Veröffentlichung einer CD der von Sellhorn wiederbelebten Veranstaltungsreihe, mit der ein kleines, wechselndes Ensemble inzwischen erfolgreich im Osten landauf, landab tourt.

Zum Gastspiel in Meiningen stellten sich der langjährige Schauspieler des Berliner Ensembles Peter Bause und die in den 70er Jahren in Meiningen engagierte Schauspielerin Gabriele Methner vor. Einige Theaterbesucher werden sich vielleicht noch an ihre Emilia in Lessings "Emilia Galotti" oder ihre Marie in der viel beachteten "Woyzeck"-Inszenierung erinnern. Im dargebotenen Programm las sie Heinrich Bölls "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" und Ephraim Kishons "Jüdischer Poker". Rezitatorisch und stimmlich war sie leider nicht so überzeugend wie Peter Bause. Der lieferte vor allem mit Patrick Süskinds "Wie ich Klavier spielen lernte" ein Kabinettstück, das an jene legendären Prosa-Rezitationen vergangener Zeiten heran reichte.

Musikalisch virtuos und klanglich vollkommen war auch das Spiel der drei Musiker vom Ulrich Gumpert Trio. Neben Gumpert am Klavier, aus dessen Feder auch einige der vorgestellten Stücke stammten, waren das Klaus Koch am Kontrabass und Wolfgang Schneider (sonst in der Band von Günther Fischer) am Schlagzeug. Sie boten Jazz vom Feinsten, melodisch und rhythmisch, tradiert und experimentierfreudig, im Ensemble und solo, jeder als Könner an seinem Instrument.

Für viele eine Entdeckung des Abends war der Sänger Karsten Troyke, der begleitet an Piano und Geige u. a. Lieder von Georg Kreisler und Friedrich Hollaender darbot. Seine unverwechselbare Stimme und Ausdruckskraft, wechselnd vom grotesk-ironischen zum nachdenklich-ernsten und humorvoll-satirischen, gingen ins Ohr und Hirn. Da hätte man gern noch mehr, auch von seinen jiddischen Liedern, gehört. Mit eigenem Programm wäre er vielleicht sogar ein Anwärter auf den Kleinkunstpreis gewesen.

 

 

 

WIGLAF DROSTE, SCHUNKELJAZZ UND KERZENSCHEIN

Von JOSEF ENGELS

in: "Die Welt", Ausgabe Berlin, 20. 5. 1999]

 

"Man möchte sich ein bisschen kuscheln", wünscht sich die Wäschefrau in Inge Heyms Erzählung "Im Laufe des Abends". Die Schauspielerin Barbara Dittus trägt den Monolog der Arbeiterin, die weg will aus ihrem Land, im Tränenpalast breit berlinernd vor: "Det is nich wegen politisch oder so. Nur persönlich." Politisch und privat ist dummerweise eins in dem Staat, von dem Inge Heym schreibt: die dahingeschiedene DDR.

Aber ein bisschen kuscheln wollen sie schon, die Besucher der Reihe "Jazz - Lyrik - Prosa", die seit 1997 im Tränenpalast, dem ehemaligen Übergang zwischen den beiden Deutschlands, stattfindet. Bereits in den sechziger Jahren feierte die Verbindung von Schunkeljazz und subversivem Dichterwort große Erfolge. 1963 initiierte Werner "Josh" Sellhorn, damals Lektor des Ost-Verlags "Volk und Welt", die Veranstaltungsreihe - unter anderem mit den "Jazz Optimisten" und Manfred Krug.

Merkwürdig und ein wenig bizarr ist die Wiederauflage der Veranstaltung "Jazz - Lyrik - Prosa" über 30 Jahre nach ihrem von der Obrigkeit beargwöhnten Entstehen schon. Dichter aus dem russischen Bruderland werden nicht mehr vorgetragen, dafür Süskind oder Heym. Der zickige Dixieland, der schon in den 60ern mausetot war, wurde gegen Standards aus dem Repertoire des nur dem Namen nach "modernen" Jazz ausgetauscht.

Das Personal (Sellhorn moderiert die monatliche Veranstaltung, altgediente DDR-Jazzer bestreiten den musikalischen Teil) und das Publikum sind jedoch das gleiche geblieben: ältere Semester, der männliche Teil zuweilen mit den berühmt-berüchtigten Zauselbärten, zusammenhaltend bei dämmrigem Kerzenschein gegen die Widrigkeiten des Lebens.

Eingangs erwähnte Erzählung, wie sie Barbara Dittus bei der letzten "Jazz - Lyrik - Prosa"-Auflage vorlas, könnte den Eindruck erwecken, daß es bei der Veranstaltung um die verzweifelte Suche nach einem verlorengegangenen "Wir"-Gefühl der Ostler geht.

Zunichte gemacht wird diese Heimeligkeit jedoch durch pointiert eingesetzte Dissonanzen bei den Musikern und Vortragenden. Wie etwa durch den zu der jüngsten Veranstaltung eingeladenen "Quoten-Wessi" Wiglaf Droste. Ein Glücksfall. Denn die Invektiven des westfälischen Wadenbeißers ergänzen sich hervorragend mit dem Spiel Ernst-Ludwig Petrowskys.

Der eine pustete Klassikern wie Dizzy Gillespie mit hitzig brüllendem Altsaxophon den Staub vom Notenblatt, der andere wetterte freundlich erzürnt gegen die verbrecherischen Umtriebe des Ostrock, gegen Nudossi und den Namen "Mandy". Überhaupt nicht zum Kuscheln. Aber so sind guter Jazz und gallige Prosa eben.

Nächste Veranstaltung: 20. 6. Mit Jochen Petersdorf, Evelyn Künneke, Ruth Hohmann und dem Jazz Collegium Berlin.

 

 

KURZWEILIG: 

JAZZ – LYRIK – PROSA

Ehemalige DDR-Künstler gestalteten unterhaltsamen Sonntagabend in der Lausitzhalle

 

Karl Georg Mantel

[Örtliche Pressekritik nach der Veranstaltung am 

1. 11. 1998 in Hoyerswerda]

HOYERSWERDA. Kurzweilige Geschichten und ausgezeichnete Jazzinterpretationen prägten die musikalisch-literarische Neuauflage von ,,Jazz - Lyrik - Prosa" am Sonntag Abend bei der nun schon 20. Veranstaltung dieser Art in der Lausitzhalle.

In der ehemaligen DDR bekannte und beliebte Künstler hatten sich an diesem Abend versammelt, doch die Hoyerswerdaer blieben lieber vor der Flimmerkiste hocken. Was die rund 450 Zuschauer geboten bekamen, war allererste Sahne.

Weltstar Uschi Brüning jagte den Zuhörern mit ihrer Stimme einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. ,,Diese Frau ist eine Messe und noch besser als früher", rief ein Besucher in den Beifall nach dem Anfangssong hinein. Einfach phantastisch ihr späterer musikalischer Dialog mit Ernst-Ludwig Petrowsky, dem Saxophonisten der Extraklasse.

Josh Sellhorn, spiritus rector der Veranstaltungsreihe, leitete mit kurzen sachlichen Worten zu den einzelnen Beiträgen über.

,,De homine publico tractatus" (Traktat über den öffentlichen Menschen) von Johannes Bobrowski wurde durch Rolf Römer in der für ihn typischen prägnanten Art vorgelesen. Natürlich hatte er heim Schluss der Geschichte die Lacher auf seiner Seite, als er vortrug: ,,Die Frau und der Mann schielten dermaßen, daß sie sich nie sahen und somit eine glückliche Ehe führten."

Annekathrin Bürger, eine Grand Dame der Filmbranche, hat nichts von ihrem Charme und ihrer Ausstrahlung eingebüßt Mit Stil und Würde plauderte sie über die kleinen Pikanterien in der ,,Ballade vom Misthaufen". Mimik und Gestik zeigten sehr deutlich, wie viel Distanz sie zum Umgangswort ,,Schei ..." pflegt, das zum festen Bestandteil der heutigen Sprache gehört, obwohl es dort nicht als Synonym für alles Schlechte und jedes Missgeschick hingehört.

Holterdipolter ging es zu, als ,,Der Bause" ans Mikrofon trat. Peter Bause, der Verwandlungskünstler, zelebrierte ,,Wie ich Klavier spielen lernte" von Patrick Süskind. Der große, kräftige Rotschopf wurde auf der Bühne zu dem kleinen, ängstlichen Jungen, der vor den Tasten des Instrumentes sitzt und ängstlich auf das Fis starrt, an dem ein – von seiner Klavierlehrerin hingerotzter – Popel klebt. Die Zuschauer litten mit ihm.

Zwischendurch immer wieder Gesangseinlagen von Uschi Brüning und fast artistisch anmutende Einlagen der Gruppe Enfant. Die drei Musiker, sonst Mitstreiter von Günther Fischer, sind wahre Könner auf ihren lnstrumenten. Bassist Günter Bartel hatte sich in die Finger geschnitten und spielte mit Pflaster. Trotzdem legte er ein Solo vom Feinsten hin und warf sich mit Schlagzeuger Wolfgang ,,Zicke" Schneider sowie dem Cottbusser Pianisten Detlef Bielke die Jazznoten nur so um die Ohren, dass den Zuhörern der Atem stockte. Noch brillanter wurde es, wenn Ernst-Ludwig Petrowsky auf seinem Saxophon zu zaubern begann.

Ein toller Abend ging zu Ende. Die Beteiligten auf der Bühne waren das Beste, was seit langem in der Lausitzhalle auftrat. Zugaben fielen diesmal jedoch aus. Das Publikum hatte es so eilig, um in die kalte, regnerische Nacht hinauszukommen, dass die Chance des verlängerten Programms ungenutzt verstrich.

 

 

BIER UND TRÄNEN

,,Jazz-Lyrik-Prosa", in der DDR heißgeliebt, feiert ein Comeback

 

VON ROMAN RHODE

in: "Tagesspiegel", 23. Oktober 1998

 

Gezapftes Bier statt Longdrinks, Bärte statt modischer Herrenzöpfe, gedämpfte Plauderei im Publikum. An den Tischen im Saal hat sich eine eingeschworene Fangemeinde eingefunden, die Stimmung ist freundlich, feierabendlich und intellektuell. Als Werner "Josh" Sellhorn, der Spiritus rector der Veranstaltung, das Programm präsentiert, ist seine Diktion ebenso gehoben wie nüchtern. Ein Studiendirektor, der seine Ehemaligen auf der Bühne begrüßt Dahinter verbirgt sich allerdings jene feine Ironie, mit der Sellhorn schon 1964 einen Auftritt Wolf Biermanns ankündigte, der bei den DDR-Kulturzensoren in Ungnade gefallen war. ,,Wir haben weder Mühe noch Schweiß gescheut", rief Sellhorn damals unter dem Gelächter des Publikums, ,,vier brauchbare Lieder von ihm auszusuchen." Erst ein Jahr zuvor hatte Sellhorn zusammen mit Manfred Krug und den ,,1azz-Optimisten Berlin" die Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Jazz und Lyrik" ins Leben gerufen. Sellhorn der als Lektor im Ostberliner Verlag Volk und Welt beschäftigt war, versprach sich davon neben Dixieland-Musik auch einen Werbefeldzug für seine Bücher. Die Rechnung ging auf. Vor allem durch die unbekümmert-schnoddrigen Rezitationen Manfred Krugs wurde ,Jazz und Lyrik" schnell zu einem Publikumsrenner. Unvergessen bleibt etwa Krugs launiger Vortrag von Sostschenkos ,,Kuh im Propeller", einer pechschwarzen Satire auf das Parteichinesisch der Funktionäre, die jetzt in einer Neuauflage des historischen "Amiga"-Mitschnitts zu hören ist.

Doch ebenso rasch wie der Erfolg von "Jazz und Lyrik" folgten die Probleme mit der Obrigkeit. Das lag nicht nur an unbequemen Gastsolisten wie Biermann, sondern auch daran, dass Jazz bei den biederen Dogmatikern der Partei als ,,amerikanische Unkultur" verpönt war. Daraufhin zog es Joachim Kühn, dessen avantgardistische Pianobeiträge nicht auf Schallplatte erscheinen durften, 1965 ins bundesdeutsche, wenig später ins französische Exil: Erst in Paris konnte sich Kühn als eine der zentralen Figuren des europäischen Free Jazz behaupten. Andere Jazzer sind geblieben. So etwa der Posaunist Conny Bauer, der übrigens auch heute hin und wieder als Gast in "Jazz - Lyrik - Prosa" zu sehen ist. Die Erweiterung des Programms um Prosabeiträge hatte man bereits 1965 beschlossen. Die fröhlich-subversive Mischung aus Kabarett, Dixieland, Literatur und allerhand Sottisen sorgte in den Sechzigern für zündenden Gesprächsstoff. Nach langer Pause taten sich die Veteranen von ,,Jazz - Lyrik - Prosa" dann Anfang 1997 wieder zusammen. Dabei ist nicht nur die alte Garde vertreten, die Schauspielerin Annekathrin Bürger und der Posaunist Hermann Anders mit seiner Band, sondern auch spezielle Solisten werden eingeladen. Doch was ist neu am neuen Programm? Der Jazz wurde aufpoliert: Statt Dixieland gibt es nun salonfähige Standards in hochsolider Spielart Die Vorträge sind oft so brüllkomisch. dass man sich am Bier oder den eigenen Lachtränen verschluckt.

Und hier das Besondere: "Jazz - Lyrik - Prosa" glänzt auch ohne die staatliche Gängelung früherer Zeiten. Statt Sostschenkos Satire darf es jetzt eine Geschichte von Süskind sein, mit der ein Schauspieler wie Peter Bause die Zuschauer zum Prusten bringt Die Texte von Stefan Heym, Kurt Tucholsky oder Karl Valentin sind zeitlos wie der Humor selbst. Es ist ein seltsamer und seltener Mikrokosmos, der sich da in Mitte eingerichtet hat. Künstler und Publikum verwandeln den Tränenpalast allmonatlich in ein aufregend gediegenes Wohnzimmer, um dort jene Bambule der Worte zu feiern, mit der sie schon zuvor gegen den real und oral existierenden Sozialismus rebelliert hatten.

 

 

ZEITSTIMMUNGEN IN MODERNEN TÖNEN UND SINNIGEN TEXTEN

 

Bert Noglik

in: "Leipziger Volkszeitung", 27. 10. 1997

 

Merkwürdig ist das schon. Die Wortkette "Jazz - Lyrik - Prosa" mobilisiert noch immer Publikumsmassen, die einem einzelnen Teil der Ansage selten zuteil wird. Dass das Erinnerungsvermögen an die umjubelten Veranstaltungen der sechziger Jahre dabei eine Rolle spielt, spiegelt sich in den Jahrgängen auf Rang und Parkettreiben im Schauspielhaus.

Werner ,,Josh" Sellhorn, Spiritus rector der damaligen und der nun wiedererstandenen Reihe, weiß natürlich, dass sich die Geschichte nicht wiederholen lässt. Das beginnt bei der Musik, die nun nicht mehr ausgelassen dem Dixieland frönt. In Gestalt der Gruppe ,,Enfant" mit dem Saxophonisten Ernst-Ludwig Petrowsky und der Sängerin Uschi Brüning kommt sie jetzt modern daher, will sich jedoch des Popularitätspotentials von Blues und Gospel nicht entziehen. Gelegentlich schwingt sie sich zu skurrilen Fragmenten einer individuellen musikalischen Mythologie in Gestalt eines nur Eingeweihten verständlichen ,,Usels" empor.

Ansonsten bleibt alles schön verständlich, auch der Sinngehalt der vorzüglich rezitierten Texte. Die lustigen, die allgemein-menschlichen Geschichten wiederholen sich natürlich. Aber mit der Zeitstimmung wollten diese Programme ja auch immer etwas zu tun haben.

Und so beginnt denn die Neuauflage von ,,Jazz - Lyrik - Prosa" mit Reflexionsprosa, bei der man nicht recht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Walfriede Schmitt sinniert mit hoher Sprechkultur über Wechsel und Wandel der Zeiten, über Wertverlust und Dämmerung, um zum Schluss des Aha-Erlebnisses die Mitteilung zu machen: Das schrieb Tucholsky, immerhin anno 1920. Mit Rolf Römers Vortrag einer erheiternd beunruhigenden Altersweisheit von Stefan Heym wird eine Schaltstelle erreicht, von der aus nun überwiegend in das Schatzkästlein des vordergründig und hintersinnig Humorigen gegriffen wird. Annekathrin Bürger lässt uns mit schöner Sprache an der lasziven Schilderung einer phantasmagorischen Hochzeitsfeier teilhaben. Der als Gast köstlich deklamierende Tom Pauls liefert Kabinettstückchen aus der Feder von Wilhelm Busch und Michail Sostschenko, dessen ,,Kuh im Propeller" zu den Dauerbrennern der sechziger Jahre zählte.

Gewissermaßen ein Programm im Programm bilden die beiden Literaturvertonungen von Conrad Bauer, der mit vielstimmigem Posaunenspiel zu Walfriede Schmitts einfühlender Interpretation Brechtscher Balladen einen Ansatz aufzeigte, der weit über die Addition von Jazz, Lyrik und Prosa hinausging. Auch Bauers stimmlich-instrumentales Solo ,,Ich lebe hoch im Plattenbau" zählte zu den Bravourstücken des Abends. Die Mischung aus hoher, in der DDR gewachsener Schauspielkunst, einer bunten Literaturauswahl und einer stilistisch unentschlossenen, brillant gespielten Jazzmusik hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Ob man der Zeit nicht vielleicht auch mit anderen Texten ins Gewissen reden, mit anderen Tönen ins Gesicht blasen müsste, wäre eine Frage, die über das Revival hinaus zu anderen Formen führen könnte.